Der Schmied von Ochsenfurt – Hans Stock und der letzte Staufer
Leseprobe
Prolog
Ich mag das Klirren des Hammers auf dem Amboss, dachte der Schmied. Diesen metallischen, schwingenden, singenden Ton …
Er lächelte. Das Werkzeug lag ihm warm und vertraut in der Hand. Die Esse zischte, das Eisen unter dem Hammer leuchtete rot und friedlich und fast, als freue es sich darauf, ein Hufeisen zu werden. Hans Stock schlug zu, einmal, zweimal, dreimal, dann ließ er den Hammer auf den Amboss klirren, einmal, zweimal, dann wieder auf das Werkstück – wie seit vielen, vielen Jahren.
Er wischte sich mit rußigen Händen den Schweiß ab und sah durch die Werkstatttür hinaus auf die Hauptstraße von Ochsenfurt. Die Sonne stand schon tief, aber es war noch warm, der Sand auf dem Boden staubte orangefarben unter den Füßen der Menschen. Das war ein schönes abendliches Bild – aber der Staub und die Sonne erinnerten ihn auch an etwas anderes, an einen Ort in weiter Ferne, vor langer Zeit, wo auch der Boden staubte im schrägen Sonnenlicht. Einen Augenblick lang runzelte er die Stirn, dann lächelte er wieder.
Dann lag er plötzlich halb auf der Bank vor der Werkstatt, Menschen umringten ihn, jemand tätschelte seine Hand, fragende Gesichter beugten sich über ihn. »Was?« fragte er. »Was denn?«
»Ganz ruhig, Hans. Deine Frau kommt schon«, sagte jemand.
»Was, wieso?«
Und da kam sie auch schon und drängte sich heran.
»Gianni«, rief sie, »was machst du Sachen? Ich geh kurz kaufen und du?«
»Wieso, was mach ich denn? Ich versteh nicht recht.«
Er hatte einen kleinen Schwächeanfall erlitten, konnte sich nicht erinnern.
»Naja«, sagte er später, als die Aufregung sich gelegt hatte und die Leute lachend weitergegangen waren, »ich werde auch nicht jünger. Wie sagt man doch: Einen Tod muss man ja sterben.« Das sagte er lächelnd und gleichmütig, während er in die Sonne blinzelte, aber seiner Frau gefiel es trotzdem nicht.
»Sag nicht so!« Sie drohte ihm mit dem Zeigefinger, und über ihrer Nasenwurzel erschien eine senkrechte Stirnfalte. »Zum Sterben ist noch nicht Zeit!«
»So, meinst du? Wann ist denn Zeit zum Sterben, Faustina? Schon damals hätte es passieren können, ganz leicht, vor – warte, lass mich rechnen – vor zweiundfünfzig Jahren, herrje, so lang ist das schon her.«
»So lang? Impossibile! So alt ich nicht bin!«
»Doch, sind wir. Damals bin ich glücklich davongekommen.« Er sah sie lächelnd an und verbesserte: »Sind wir glücklich davongekommen.«
Hermann kam angelaufen. »Vater! Was hör ich da für Sachen? Was ist denn passiert?«
»Nichts Schlimmes. Nur das Alter. Das ist nicht ansteckend. Nur unvermeidlich.«
Hermann war der jüngste Sohn, aber mittlerweile auch schon über 30 Jahre alt, selber verheiratet, vier Kinder. Er war Weinbauer. Außer Hermann hatte Hans Stock noch vier Mädchen und einen Jungen, die waren in alle Winde zerstreut, die Mädchen längst verheiratet, der »Junge« – der Älteste mit 47 Jahren – lebte mit Familie und Enkeln im Elsass, dem alten Stauferland.
Abends, als der alte Schmied im Bett lag, schaute er lange an die Holzbalken der niedrigen Decke, die von der Kerze neben seinem Bett flackernd beleuchtet wurden. »Und wieder stellt sich die Frage«, sagte er zu seiner Frau im anderen Bett, »wer die Schmiede übernimmt.«
»Gianni«, erwiderte sie und lachte, »du tust so, als ist schon alles vorbei. Im Augenblick du hast die Schmiede noch.«
Er stützte sich auf den Ellbogen und sah zu ihr hinüber. Er konnte nur ihren Schatten erkennen. »Ich weiß«, sagte er sanft ins Dunkel, »aber ich merke auch, dass ich sie nicht mehr lange habe. Faustina, das ist nicht schlimm. Das Leben war gut zu mir. Weißt du, manchmal erinnere ich mich an früher. An alles, an jede Einzelheit. Was für eine wirre Zeit war das, nicht wahr? Eine schreckliche Zeit, mit viel Blutvergießen. Und zugleich eine abenteuerliche Zeit.« Er lachte leise. »Und ich mitten drin, ist das zu glauben?«
Sie stand auf, kam herüber und setzte sich auf seine Bettkante. Er betrachtete ihr Gesicht im Kerzenschein. Immer noch ein schönes, klares Gesicht, schmal und nach all den Jahren mit vielen Runzeln um die braunen Augen, um den Mund, die kommen vor allem vom Lachen, dachte er. Die schwarzen Haare waren vielen grauen gewichen, das stand ihr gut.
»Gianni, Gianni«, sagte sie und strich ihm über den Scheitel, »schlaf. Und träum Schönes«, schloss sie und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Er dachte lächelnd: ›Und sollte ich nicht mehr aufwachen, habe ich keinen Grund traurig zu sein.‹