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Balthasar Neumann – Architekt der Ewigkeit

Leseprobe

Das erste Mal, dass Retz Meister Neumann gesehen hatte, das war an einem Abend im September 1719 – vor vierunddreißig Jahren. Nicht lange zuvor war ein neuer Fürstbischof gewählt worden: Johann Philipp Franz von Schönborn. In der Stadt herrschte Aufregung: ein Schönborn! Ein Neffe des Mainzer Erzbischofs und Reichskanzlers Lothar Franz von Schönborn, der zugleich Erzbischof von Bamberg war.

Es war bereits spät geworden an diesem Abend, die letzten Gäste der Weinstube saßen über ihren fast leeren Gläsern und redeten über den neuen Fürstbischof. Dass ein Schönborn gewählt worden war, hielten die meisten für eine gute Sache, denn die Schönborns schienen im Reich wachsenden Einfluss zu haben, und das konnte für Würzburg von Vorteil sein. Andererseits, diese hohen Herren, man wusste nie so genau, was sie sich einfallen ließen, ob sie den Wohlstand von Stadt und Land vermehren wollten – oder lieber doch ihren eigenen.

Retz stand hinter seiner Theke und sortierte Flaschen, als die Tür mit Schwung geöffnet wurde und ein fremder Gast erschien, ein stattlicher, mittelgroßer Mann um die dreißig, in militärischer Kleidung. Er sah sich in der Stube um, erblickte den Wirt und sagte freundlich:

„Guten Abend, Herr Wirt, hättet Ihr noch einen Wein für mich?“

Dem Wirt fiel sein auswärtiger Akzent auf, den er nicht recht zuordnen konnte. „Bitte, der Herr“, sagte er, „nehmt Platz.“

Der Mann nickte höflich, sah sich um, setzte sich an einen Platz am Fenster, rieb sich die Hände und schaute vergnügt hinaus. An diesem Platz saß er fortan immer.

„Was darf es denn sein, der Herr?“

Ohne zu Zögern kam die Antwort: „Heut gönn ich mir den besten, den Ihr habt, Herr Wirt!“

„Mit Vergnügen!“

Retz brachte ihm einen Schoppen von dem Steinwein, den er selbst am liebsten trank. „Der wird Euch gefallen, mein Herr!“

Und tatsächlich, er gefiel dem Mann. Versonnen schnupperte er am Glas, nippte daran, schloss die Augen. „Hm … ganz vorzüglich. Herrlich!“

Dann lehnte er sich ausatmend zurück. Es war leicht zu erkennen, dass der Mann in bester Laune war, dafür brauchte Retz nicht seine langjährige Erfahrung als Wirt zu bemühen. „Ein feiner Wein, mein Herr, nicht wahr?“

„Allerdings!“

„Erlaubt die Frage, ob Ihr neu seid in Würzburg?“

Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin seit fast zehn Jahren hier – erstaunlich, dass ich erst heute den Weg hierher gefunden habe. Ursprünglich komme ich aus Eger in Böhmen.“ Er erhob sich halb. „Neumann mein Name, Balthasar Neumann.“

„Sehr erfreut, Herr Neumann. Johann Baptist Retz.“

„Angenehm.“

Retz nickte freundlich. „Ihr scheint in Feierlaune, Herr Neumann.“

Da sah Neumann ein wenig ertappt aus und lächelte spitzbübisch. „Merkt man das? Nun ja... ich bin in Feierlaune, stimmt.“

„Man merkt's“, sagte Retz und wartete. Er wusste, sein Gast würde anfangen zu erzählen, wenn ihm danach war.

Ihm war danach. „Mir ist heute … Donnerwetter!“ unterbrach er sich. „Mir ist heute etwas Unglaubliches passiert!“ rief er aus.

Und dann erzählte er.

 

Vor acht Jahren war er auf seiner Gesellenwanderung nach Würzburg gekommen. Elf Jahre zuvor, anno 1700, hatte den damals Dreizehnjährigen sein Tauf- und Namenspate, der Glockengießer Balthasar Platzer in die Lehre genommen, der in Eger eine renommierte Gießhütte betrieb. Für die nächsten elf Jahre lernte Neumann hier das Handwerk eines Glocken- und Metallgießers. Das war eine lange Lehrzeit, aber sie war nötig. Denn die Arbeit an einer einzigen Glocke konnte je nach Größe bis zu einem Jahr lang dauern, und sie war das Werk umsichtiger Köpfe und vieler Hände.

„Der Guss einer Glocke, mein Junge“, sagte Platzer einmal, ziemlich am Beginn von Neumanns Lehrzeit, „ist nichts Anderes als die Erschaffung eines tönenden Hohlraumes, eines klingenden Gewölbes. Du kennst vielleicht die Geschichte der klingenden Himmelssphären?“

„Nein, Meister.“

„Die Alten glaubten“, erklärte Platzer mit geheimnisvoller Stimme, „dass das Himmelsgewölbe aus vielen ineinander liegenden Schalen besteht, die sie 'Sphären' nannten.“ Er formte seine Hände entsprechend und begann sie langsam zu drehen. „Diese Sphären bewegen sich ineinander – und dabei machen sie Töne. Weißt du, was ich meine?“

„Nein …“

Platzer nahm die Hände herunter. „Sphärenmusik“, flüsterte er. „Hm? Hast du so etwas schon mal gehört, mein Junge?“

Neumann schüttelte den Kopf.

Platzer lachte leise. „Ja, es sind auch wirklich sehr feine Töne, die man leicht überhören kann. Aber keine Angst, Balthasar, eines Tages wirst du sie hören. Und danach werden sie dir nie mehr entgehen.“

„Ja, Meister.“

„Und siehst du, Balthasar, genau so etwas ist eine Glocke. Ein Glocke ist wie eine himmlische Sphäre.“

Neumann nickte.

„Wirst du dir das merken, mein Junge?“ fragte Platzer lächelnd.

Neumann nickte noch mehr.